Ein neuer Weg zu autonom fahrenden Fahrzeugen: Lernen in der Londoner Fahrschule mit AI  

Voraussagen der 2000-er Jahre zufolge sollten unsere Straßen inzwischen von selbstfahrenden Autos bevölkert sein. Aber die Revolution lässt auf sich warten. Eine Reihe von Startups gehen einen neuen Weg: Sie schicken Autos in die Fahrschule, mit Künstlicher Intelligenz.

Der Hype um autonome Fahrzeuge (AV, autonomous vehicles) war stets groß, das Ergebnis bisher mager. Über streng überwachte Pilotprojekte sind große Player wie die Alphabet-Tochter Waymo oder Cruise, das ein Robotaxi-Angebot in einem eng eingegrenzten Stadtteil von San Francisco betreibt, bisher nicht hinausgegangen.

Jetzt probieren eine Reihe von “New Kids on the Block” Autos das Fahren mit einem neuen Zugang beizubringen: Sie schicken sie in die Fahrschule, damit sie das Fahren wie Menschen lernen. “Reinforcement Learning”, Lernen durch die Verstärkung positiven Verhaltens, nennt sich der Zweig Künstlicher Intelligenz, den das britische Startup Wayve sowie die US-Gründungen Waabi und Ghost und das israelische Autobrains seit kurzem zum Fahrtraining einsetzen.

Aus Fehler lernen

Eine Demonstration dieser Methode auf einer englischen Landstraße zeigt die Methode. Der Fahrer nimmt die Hände vom Lenkrad, nach kurzer Zeit kommt das mit Kameras und einem neuronalen Netzwerk ausgestattete Fahrzeug von der Straße ab. Sobald das passierte, greift der Fahrer kurz zur Korrektur ins Lenkrad und überläßt das Auto wieder sich selbst. Der Vorgang wiederholt sich, das Fahrzeug kommt von der Spur ab, der Lenker korrigiert, und so weiter. In weniger als 20 Minuten lernt das Auto dank des neuronalen Netzwerks, die Spur auf der Straße selbstständig auch bei schwierigen Routen zu halten.

Mit dieser Methode, richtiges Verhalten zu verstärken, trainierte Wayve Fahrzeuge auf den Straßenverkehr von London. Dann gelang es diesem Auto, ohne speziellem Zusatztraining selbstständig und fehlerfrei durch fünf andere britische Städte zu navigieren. Derzeit üben die Autos im Londoner Verkehr zur Stoßzeit – wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen für autonome Fahrzeuge außerhalb Indiens. Vor kurzem gaben Wayve und Microsoft bekannt, dass das neuronale Netzwerk in der Microsoft-Cloud Azure trainieren wird, berichtete das Tech-Magazin Wired.

Die bisherigen Branchenführer Waymo und Cruise tun sich hingegen mit ihrem konventionellen Lösungsweg schwer. Dabei verfolgen die Unternehmen den bei Robotern angewandten Zugang: Wahrnehmung, Entscheidung und Fahrzeugkontrolle sind getrennte Aufgaben, für die jeweils unterschiedliche Module entwickelt werden. Erst anschließend sollen diese Netzwerke zusammenarbeiten, was in komplexen Situationen fehleranfällig ist.

Herausforderungen selbst bestehen

Statt separate Systeme zu bauen und dann zu verbinden, werfen Wayve und die anderen Startups alles in den riesigen Topf eines einzigen neuronalen Netzwerks, das selbst herausfindet, wie es eine Situation bewältigt, beschreibt Wired. Dank enormer Datenmengen lernt das AI-System, wie es den Input seiner Kameras und Lidars über Straßenverhältnisse und Verkehrssituation in Output in Form von Steuerung, Bremsen und Beschleunigen verwandelt – ganz so, wie Fahrschüler lernen, ihre Wahrnehmung der Straßensituation auf unfallfreies Fahrverhalten zu übertragen.

Dabei zeigt sich ein unterschiedlicher Zugang zur Navigation. Waymo und Cruise arbeiten mit hochauflösenden 3D-Karten in den Städten, in denen ihre Fahrzeuge unterwegs sind. Die Fahrzeuge werden über GPS gesteuert, die Karten liefern zusätzliche zentimetergenaue Information, etwa über Straßenmarkierungen, Gehsteige oder Ampelanlagen. Das bedeutet einen enormen Aufwand bei der Bereitstellung und Aktualisierung der Karten. Teilweise hilft dies Waymo und Cruise, Konkurrenten ohne diesem Kartenmaterial auf Distanz zu halten.

Wayve verlässt sich hingegen bei der Navigation seiner Autos gänzlich auf die künstliche Intelligenz des neuronalen Netzwerks. Zwar wird gleichfalls GPS verwendet, aber die genauen Straßenverhältnisse muss das Auto selbst erfassen. Das erfordert zwar mehr Aufwand bei der ersten Stadt, in der geübt wird – aber macht die Anpassung an neue Städte wesentlich leichter. Auch in der Hinsicht ist es Lernen wie in der Fahrschule: Wer einmal in einer großen Stadt Fahren geübt hat, wird dies auch anderswo schaffen.

Noch ist der Abstand der Herausforderer zu den bisherigen Platzhirschen groß. Die Autos von Wayve sind weiterhin aus Sicherheitsgründen mit einem Fahrer unterwegs, während Waymo und Cruise längst fahrerlos cruisen. Das US-Startup Waabi verwendet zum Training noch nicht einmal richtige Autos: Das System lernt derzeit noch in einem Simulator komplexen städtischen Verkehr. Jedoch geben andere Felder wie Computer Vision und Spracherkennung, in denen Künstliche Intelligenz zum Durchbruch führten, Hoffnung auf den Erfolg von „AV 2.0“.

Veröffentlicht am: 8. Juni 2022

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