Wie VR-Brillen Menschen mit Demenz helfen ihre verlorenen Erinnerungen wieder zu finden  

Meist werden Virtual-Reality-Brillen mit Gaming und einem jüngeren Publikum verbunden. Unerwarteter Zuspruch für VR und das “Metaverse” kommt jetzt auch vom anderen Ende des Altersspektrums. Mit “VR Reminiszenz-Therapie” werden die Erinnerungen von Senioren mit Demenzerkrankungen unterstützt und damit Einsamkeit und Depression gemindert.

Wenn Erinnerungen verloren gehen, verringert sich auch die mentale Aktivität in der Gegenwart und die Anteilnahme von Menschen an ihrer Umwelt. Das beschleunigt Abbauprozesse bei Menschen mit Demenzerkrankungen. Eine Form, dagegen anzukämpfen, ist seit geraumer Zeit die aktive Biografie-Arbeit. Erinnerungen mit Hilfe von Familien-Fotoalben, alten Zeitungen und Erinnerungsstücken wieder lebendig gemacht. In den USA wurde für diese Form des Kampfs gegen Demenz der Begriff Reminiszenz-Therapie geprägt. Diese seit vielen Jahren bekannte Praxis bekommt nunmehr digitale Unterstützung durch VR-Brillen.

Eine Reihe von Unternehmen bieten inzwischen bereits VR-Reminiszenz-Therapie für Senioren und Wohnhäuser von Senioren an. Die VR-Startups Rendever oder MyndVR betreuen inzwischen hunderte Einrichtungen in den USA, Kanada und Australien. Verbunden mit entsprechenden Inhalten bieten sie ihre VR-Brillen auch zur individuellen Nutzung für Angehörige an. In den einzelnen Sitzungen wird die Erinnerung in mannigfaltiger, dreidimensionaler Realität geweckt. Spaziergänge durch die Orte der Kindheit oder mit Filmen aus dem Familienleben erlauben es, vollständig einzutauchen und die virtuelle Welt mit der Welt der eigenen Erinnerungen zu verbinden.

Auf Reisen mit VR mitnehmen

Die Bibliothek der VR-Reisen reicht von städtischen Vierteln und beliebten Ausflugszielen bis zu Konzerthäuser und Nachtklubs. Auch neue Aktivitäten können über die VR-Brillen gelernt werden, etwa das Falten von Papierfliegern. Die Initiative von Angehörigen von Menschen mit Demenzerkrankungen reicht über VR-Bibliotheken weit hinaus. Manche filmen Familienfeste wie Hochzeiten in 3D, damit entfernte Familienmitglieder teilnehmen können. Mit 3D-Kameras können jüngere Generationen Oma und Opa mttels VR-Brille auf ihre realen Reisen mitnehmen. Andere stellen aus Google Streetview oder alten eigenen Aufnahmen Umgebungen zusammen, zu denen Senioren biografische Bezüge haben.

Allen Anwendungen gemeinsam ist, das zahlreiche Studien ebenso wie Berichte aus Seniorenresidenzen die Wirksamkeit der VR-Reminiszenz-Therapie bestätigen. So würden Depressionen und Isolation zurückgehen und der damit verbundene Medikamentenkonsum sinken. Weiteren Nutzen sehen Studien in mehr Lebenslust, Anteilnahme am Umweltgeschehen und der Verbesserung kognitiver Leistungen durch die Stimulation der VR-Programme. Eine Umkehr des kognitiven Abbaus erscheint jedoch nicht möglich.

Pilotprojekte in Österreich

Pilotprojekte mit VR gegen Demenz gibt es auch in Österreich. Ein Forschungsprojekt des Startups Netural gemeinsam mit Caritas, Volkshilfe und FH Oberösterreich untersucht im Projekt “VR4Therapy” die Anwendung virtueller Realität bei Demenzerkrankungen. VR würde für die Erinnerungspflege durch ihren immersiven Charakter neue Möglichkeiten auftun, beschreibt Projektleiter Robert Hartmann das Projekt. Um eine fotografische Bibliothek aufzubauen, werden mithilfe der Bevölkerung von Linz frühere Bild- und Tonaufnahmen der einstigen Stahlstadt gesammelt. Das Projekt erstellt nicht nur VR-Bibliotheken, sondern klärt auch die für Senioren geeignete Hardware ab.

VR4 Mind&Motion, ein weiteres Pilotprojekt des oberösterreichischen Medizintechnik-Cluster mit dem Projektpartner LIFEtool, zielt neben der Erinnerungsarbeit auf die Förderung der Beweglichkeit, indem die Personen am Ergometer Spaziergänge in virtuellen Wald-, Strand- und Wiesenlandschaften machen. Die VR-Brille soll für mehr Spaß bei körperlicher Aktivität sorgen, zusätzlich zur Erinnerungsarbeit.

Veröffentlicht am: 19. Mai 2022

Beitrag teilen: